Künstliche Intelligenz und Inklusion

Ob bei der Jobsuche, im Klassenzimmer oder zu Hause – Künstliche Intelligenz ist längst Teil unseres Alltags. Damit wächst die Verantwortung, sie so zu gestalten, dass alle Menschen davon profitieren – unabhängig von ihren individuellen Voraussetzungen. Inklusion und KI sind deshalb keine getrennten Themen mehr.

Inklusion bedeutet: Jeder Mensch – unabhängig von Behinderung, Herkunft, Alter, Geschlecht, Sprache, Religion, sexueller Orientierung oder sozialem Status – hat das Recht, gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Künstliche Intelligenz kann diesen Anspruch unterstützen, etwa durch personalisierte Assistenzsysteme oder barrierefreie Informationsangebote. Wird sie jedoch auf Basis verzerrter Daten entwickelt oder ohne Rücksicht auf unterschiedliche Bedürfnisse gestaltet, drohen neue Formen der digitalen Ausgrenzung.

Dieser Artikel geht der Frage nach, wie KI-Technologien inklusiv genutzt werden können. Er zeigt Beispiele aus der Praxis, benennt Risiken und macht deutlich: Eine inklusive digitale Zukunft braucht bewusste Entscheidungen – und die Beteiligung derer, die es betrifft.

Was bedeutet Inklusion heute?

Inklusion bedeutet, dass alle Menschen – unabhängig von Behinderung, Herkunft, Alter oder anderen Merkmalen – gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Der Begriff geht weit über technische Barrierefreiheit hinaus: Es geht um gesellschaftliche Teilhabe, Selbstbestimmung und den Abbau struktureller Hindernisse. Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die in Deutschland seit 2009 gültiges Recht ist, verpflichtet dazu, inklusive Strukturen in allen Lebensbereichen umzusetzen – besonders in Bildung, Arbeit und öffentlicher Kommunikation.

Das Institut für Menschenrechte formuliert Inklusion als menschenrechtliches Prinzip. Anders als Integration bedeutet Inklusion nicht, dass Menschen mit Behinderung sich an bestehende Systeme anpassen müssen. Vielmehr muss sich die Gesellschaft so verändern, dass sie für alle zugänglich wird. Inklusion beginnt damit, Vielfalt als Normalität zu verstehen – und nicht als Sonderfall.

In der Praxis bedeutet das: Bildungseinrichtungen müssen so gestaltet sein, dass alle mitlernen können. Beispielsweise können Bildungseinrichtungen Tablets mit Sprachausgabe-Apps und digitaler Vergrößerung verwenden, damit auch sehbehinderte Schüler*innen gleichberechtigt teilnehmen können. Arbeitsplätze müssen individuell anpassbar und barrierefrei sein. Informationen müssen verständlich und zugänglich aufbereitet werden – etwa durch einfache oder Leichte Sprache, also sprachlich vereinfachte, klar strukturierte Texte, die besonders für Menschen mit Lernschwierigkeiten hilfreich sind, durch akustische Verstärkung für schwerhörige oder hörbehinderte Menschen oder durch weitere unterstützende Technologien. Besonders im digitalen Raum wird deutlich, wie wichtig barrierefreie Gestaltung ist: Wer digitale Angebote nicht nutzen kann, ist von wesentlichen Teilen des gesellschaftlichen Lebens ausgeschlossen.

Inklusion ist keine Aufgabe einzelner Gruppen oder Institutionen, sondern betrifft die gesamte Gesellschaft und all ihre vielfältigen Mitglieder. Sie ist ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag. Gerade im Zeitalter der Digitalisierung bietet sich die Chance, neue Technologien wie KI von Anfang an inklusiv zu gestalten – vorausgesetzt, Betroffene werden gehört und beteiligt.

Chancen von KI für mehr Inklusion

Künstliche Intelligenz kann Barrieren abbauen – vorausgesetzt, sie wird bewusst und verantwortungsvoll eingesetzt. Für viele Menschen mit Behinderung bietet KI ganz konkrete Unterstützung im Alltag. So ermöglichen Sprach- und Texterkennungssysteme wie Seeing AI oder Envision AI blinden und sehbehinderten Nutzerinnen einen selbstbestimmteren Zugang zu Informationen. Sie erkennen Texte, beschreiben Bilder oder helfen bei der Orientierung im öffentlichen Raum. Ein konkreter Anwendungsfall ist der Einsatz von Seeing AI in Stadtbibliotheken: Nutzerinnen können dort eigenständig Bücher einscannen und sich vorlesen lassen – ein Zugewinn an Selbstständigkeit im Alltag.

Auch Chatbots und Sprachassistenten eröffnen neue Wege zur Teilhabe. Sie können Informationen in einfacher und leichter Sprache bereitstellen, auf individuelle Fragen eingehen und rund um die Uhr verfügbar sein – vorausgesetzt, sie wurden entsprechend trainiert und barrierefrei gestaltet. Besonders spannend ist das Potenzial von KI bei der automatisierten Übersetzung in Leichte Sprache: Diese spezielle Sprachform folgt festen Regeln und ist für viele Menschen mit kognitiven Einschränkungen oder geringer Sprachkompetenz ein Schlüssel zur Teilhabe. Erste Anwendungen zeigen, dass komplexe Texte durch KI-basierte Tools schneller und verständlicher aufbereitet werden können. Das erleichtert nicht nur den Zugang zu Informationen, sondern kann auch die Selbstbestimmung fördern.

Ergänzend dazu bieten automatische Untertitelungen für Videos sowie KI-generierte Bildbeschreibungen (Alt-Texte) auf Webseiten oder Social Media weitere barrierefreie Informationszugänge. Auch in digitalen Formaten kommen zunehmend KI-gestützte AI-Companions zum Einsatz, die Live-Untertitelung und automatische Transkription ermöglichen – eine wichtige Unterstützung für hörbehinderte oder gehörlose Teilnehmer*innen. Allerdings ist zu beachten, dass für viele von Geburt an gehörlose Menschen die Schriftsprache wie eine Fremdsprache ist – sie profitieren daher nur eingeschränkt von solchen textbasierten Angeboten.

Nicht zuletzt ermöglicht KI neue Formen der Kommunikation: Erste Anwendungen zur automatisierten Übersetzung von Lautsprache in Gebärdensprache befinden sich in der Entwicklung, etwa Prototypen mit KI-gesteuerter Avatar-Technik. Diese Technologien stehen jedoch noch am Anfang – bisher gibt es keine alltagstauglichen Lösungen, die eine flächendeckende Nutzung ermöglichen.

Damit diese Chancen Realität werden, braucht es jedoch klare Qualitätsstandards, Transparenz in der Entwicklung und die Einbindung der Nutzer*innen. Denn nur so entsteht eine Technologie, die niemanden ausschließt – und Inklusion wirklich voranbringt.

Herausforderungen und Fallstricke – Wo KI Diskriminierung verstärken kann

So viel Potenzial KI für mehr Inklusion bietet – sie kann ebenso bestehende Ungleichheiten verschärfen und bestehende Diskriminierungen gegenüber verschiedenen marginalisierten Gruppen verstärken. Ein zentrales Problem liegt in den Daten: Viele KI-Systeme werden mit großen Datensätzen trainiert, die gesellschaftliche Vorurteile widerspiegeln. Diese sogenannten Biases können dazu führen, dass Menschen mit Behinderung, bestimmten Merkmalen oder nicht-normativer Sprache systematisch benachteiligt oder übersehen werden.

Auch die Entwicklungsteams spielen eine Rolle: Wenn KI-Systeme überwiegend von nichtbehinderten, homogenen Gruppen entwickelt werden, fehlt oft das Wissen über Barrieren und Bedürfnisse. Barrierefreiheit wird dann entweder übersehen oder nur als Zusatz gedacht – nicht als Grundanforderung.

Ein weiteres Risiko ist die Intransparenz vieler Systeme. So ist bei KI-gestützten Bewerbungstools oft nicht nachvollziehbar, nach welchen Kriterien Bewerber*innen aussortiert oder bevorzugt werden. Auch bei automatisierten Kreditentscheidungen bleibt für die Betroffenen meist undurchsichtig, warum ein Antrag bewilligt oder abgelehnt wurde. Diese Intransparenz birgt besondere Gefahren für Menschen, deren spezifische Bedarfe – etwa aufgrund von Behinderung, sprachlicher Barrieren oder sozioökonomischer Benachteiligung – von den Algorithmen nicht erkannt oder falsch bewertet werden können. Nutzer*innen erkennen nicht, nach welchen Kriterien Entscheidungen getroffen werden – etwa bei automatisierten Auswahlverfahren. Das kann besonders für Menschen mit Behinderung zu Nachteilen führen, wenn ihre Bedarfe nicht erkannt oder falsch interpretiert werden.

Darüber hinaus sind viele Anwendungen selbst nicht barrierefrei nutzbar: Bildschirmleser versagen bei schlecht programmierten Interfaces, Sprachausgaben verstehen keine Dialekte, und KI-generierte Texte ignorieren oft die Regeln der Leichten Sprache – ein besonders gravierendes Problem für Menschen mit Lernschwierigkeiten oder geringer Lesekompetenz.

Diese Risiken zeigen: Ohne kritische Reflexion kann KI leicht exkludieren statt inkludieren – und zwar nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern auch andere Gruppen, die gesellschaftlich benachteiligt sind. Es braucht klare ethische Standards, barrierefreie Entwicklung – und vor allem: die Beteiligung der Betroffenen von Anfang an.

Inklusive KI gestalten: Was es braucht

Damit KI zur inklusiven Technologie wird, muss sie von Anfang an barrierefrei und diskriminierungssensibel konzipiert sein. Zentrale Voraussetzung dafür ist die Beteiligung von Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven – insbesondere von Personen, die von Ausgrenzung betroffen sein könnten – in allen Entwicklungsphasen – von der Ideenfindung über das Design bis hin zur Testphase. Nur so lassen sich echte Bedarfe erkennen und umsetzen.

Zugleich braucht es klare Standards: Barrierefreiheit sollte nicht als freiwilliger Zusatz, sondern als gesetzlich geregelter Mindeststandard gelten – für Webseiten, Apps und alle KI-basierten Anwendungen. Spätestens mit dem Inkrafttreten des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes im Juni 2025 wird dies auch rechtlich verbindlich. Technische Umsetzungen wie alternative Texte, strukturierte Navigation, Vorlesefunktionen oder leichte Sprache müssen verbindlich werden.

Aber auch Bildungsarbeit ist gefragt: Entwicklerinnen und Anwenderinnen brauchen ein Bewusstsein für digitale Teilhabe und Diskriminierungsrisiken. Eine inklusive KI entsteht nicht automatisch. Sie ist das Ergebnis bewusster Entscheidungen – und eines echten Interesses daran, alle mitzudenken.

Ausblick

KI kann Inklusion stärken – oder behindern. Entscheidend ist, wie wir diese Technologie gestalten. Wenn Barrierefreiheit, Diversität und Beteiligung keine Randthemen bleiben, sondern zum Kern digitaler Entwicklung werden, eröffnet KI neue Wege der Teilhabe. Dafür braucht es politischen Willen, verbindliche Standards und den Mut, Vielfalt zur Grundlage technischer Innovation zu machen. Eine inklusive Gesellschaft beginnt auch im Quellcode.

Dieser Beitrag ist das Ergebnis eines Workshops zum Thema „KI und Inklusion“ im Rahmen des Projektes AI Impact

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